Leseprobe

Frühling in Bonn

Eigentlich hatte der Tag gar nicht so schlecht angefangen. Es war Anfang Mai, der Winter war endgültig vorbei. In den Ästen zwitscherten die Vögel, die ersten Kirschbäume blühten und in der Luft lag ein frischer Duft. Im Garten der Villa Meyer-Frankenforst in der Godesberger Kronprinzenstraße blickte der alte Clemens Meyer-Frankenforst wohlgefällig auf die Flugbretter seiner Bienenvölker im Garten und registrierte das geschäftige Treiben seiner Bienen. Die Sammlerinnen trugen Pollen in Massen ein, manchmal sah es fast so aus, als seien die Arbeitsbienen überladen, so schwer landeten sie auf den Landebrettern der Bienenstöcke. Der Winter hatte lange genug gedauert, dieses Jahr war für die normalerweise warmen Verhältnisse im Rheintal alles etwas später zum Blühen gekommen als in anderen Jahren. Doch mittlerweile war es kurz vor Mittag, die Temperatur lag bei gefühlten 20°C und keine Wolke am Himmel zu sehen. Es sah nach einem guten Tag aus für die Bienen und den Gartenfreund.

Er würde im Laufe des Nachmittages mal nach den anderen Ständen seiner Imkerei schauen, die sich an den Südwesthängen des Siebengebirges befanden und bis in den benachbarten Kottenforst reichten.

Nach seiner Pensionierung als Lehrer an einer Hauptschule hatte der zukünftige Ex-Lehrer sein Hobby zur Berufung gemacht. Grimmig dachte er an seine Zeit als Lehrer zurück und das Chaos, dass das System an seinen Schülern angerichtet hatte. Er hatte an einer Hauptschule unterrichtet und vor seinen Schülern kapitulieren müssen. Überfüllte Klassen, schlecht ausgestattete Schulen und Dienst nach Vorschrift ohne Rücksicht auf Verluste. Als er vor der Wahl stand, sich ein Magengeschwür, einen Herzinfarkt, Depressionen einzuhandeln oder sich noch einmal neu zu orientieren zu müssen, hatte seine Frau insistiert und ihm mit Scheidung gedroht, wenn er nicht einen Schlussstrich zöge. Allein könne er diese Lasten nicht schultern und wenn er noch ernsthaft ein längeres Leben mit ihr in Betracht zöge, müsse er seine Prioritäten mal überdenken.

Da hatte er nicht lange gezögert, war zu seinem Arzt gegangen und hatte sich krankheitsbedingt in den vorzeitigen Ruhestand versetzen lassen. Gerührt dachte er noch immer die Szene, die sein Hausarzt und Freund ihm gemacht hatte. Ohne Punkt und Komma war Dr. Schäfers Litanei erklungen.

„Mein Lieber, ich sage es Dir jetzt zum letzten und einzigen Mal. Du bist näher an den 60 als an den 50, hast einen Stressjob, Du reißt Dir permanent den Arsch auf und wofür? Das kann ich Dir ziemlich genau sagen. Medizinisch gesehen, bist Du ein Minenfeld. Ich kann Dir nicht sagen, was Dich zuerst umbringen wird. Entweder das sich entwickelnde Magengeschwür, hier sieh Dir mal das Bild von der Magenspiegelung an, das sieht sogar ein medizinischer Laie, ein Herzinfarkt oder Deine Frau. Und die hat jedes Recht dazu. Du machst Über- und Vertretungsstunden en masse, wann wart ihr das letzte Mal gemeinsam im Theater, im Kino oder in der Oper? Und erzähl mir nichts von Urlaub, ich weiß genau, wann ihr das letzte Mal im Urlaub wart. Das war kurz nach der deutschen Vereinigung, ihr wart eine Woche auf Fuerteventura. Wärst Du ein Schiff und ich der Reeder, dann müsstest Du in spätestens fünf Jahren abgewrackt werden! Hier nun meine ärztliche und freundschaftliche Anordnung. Du bist ab sofort vom Dienst suspendiert, hier ist das Attest, das Dir der Amtsarzt genauso bestätigen wird, dann reichst Du Deinen Antrag auf Entlassung in den vorzeitigen Ruhestand ein. Dann gehst Du mit Monika ins Reisebüro am Theaterplatz und fährst mindestens vier Wochen irgendwohin, wo es keine Schüler gibt. Ich ordne eine Woche Strandruhe an, schlaf Dich aus, frühstücke lange, genieß den Tag. Und wenn Dir die Decke auf den Kopf fällt, mach mit Deiner Frau ein paar Touren, geht Kirchen und Klöster besichtigen oder was man sonst so im Urlaub macht. Wenn Du zurückkommst, suchst Du Dir ein Hobby, züchte meinetwegen Bienen oder sammle Orchideen, lerne Sprachen, weiß der Geier was. Und jetzt raus!“

Schmunzelnd dachte Clemens an seinen grantigen Freund, er fühlte sich immer …..

 

Grenzen

Die Gelegenheit, Jan seine Grenzen aufzuzeigen, kam früher als gedacht. Am nächsten Morgen ging Elias die Treppe runter und stieß mit dem Blonden zusammen. Prompt handelte er sich wieder eine abfällige Bemerkung ein, die das Fass zum Überlaufen brachte. Es reichte ihm und er knurrte, als er sich zu Jan umdrehte. Das grollende Knurren kam von ganz tief unten aus seinem Körper und erreichte eine unerwartete Lautstärke. Der jüngere, kleinere und leichtere Elias packte Jan mit einer Hand am Kragen seiner Lederjacke und drückte ihn an die Wand. Mit der anderen Hand griff er seinen Unterarm und knallte ihn ebenfalls an die Wand, dass es nur so schepperte. Als Vampir hatte Elias körperliche Kräfte, die ihn dazu befähigten, sein Opfer ruhig zu stellen und er ließ Jan das jetzt spüren. In seiner Wut zischte er ihn auf Französisch an.

„Hör zu, Du Naziarsch, ich sage es dir jetzt ein einziges Mal. Nur ein einziges Mal und du hörst mir jetzt genau zu.“

Im Flur zur Küche standen Monika und Clemens und schauten erschreckt zu. Sie verstanden jedes Wort, das der junge Buchari sprach. Oben am Treppenabsatz tauchten die Gesichter von Nina und Mounia auf, die sich ihr Teil dachten. Sie hatten den Umgang der beiden Jungs miteinander verfolgt und mitbekommen, wie sich Jan aufführte.

„Ich lasse es mir nicht länger gefallen, wie du mich behandelst. Du tust so, als sei ich der letzte Dreck und Mensch, beschimpfst mich, deckst mich mit üblen Beleidigungen ein und hältst dich für wer weiß was. Mir ist nicht klar, was ich getan habe, um das zu verdienen. Vielleicht sagst du es mir mal?“

Jan blickte ihn völlig überrumpelt an und registrierte fassungslos die Leichtigkeit, mit der ihn Elias festhielt. Mühelos hob Elias den größeren Jan an und wirbelte ihn um sich herum, um ihn wieder an die Wand zu klatschen. Ein ums andere Mal tanzte er förmlich mit ihm über die Treppe und wirbelte ihn um sich herum, drückte ihn erneut an die Wand und ließ gerade genug Pausen, um ihn wütend mit seinen Fragen anzufunkeln. Ein etwas gewaltvoller Pas-de-deux auf der Treppe.

„Ich warte!“ Elias ließ nicht locker. „Ich helfe dir…

 

In der Nacht

Clemens ergriff das Wort: „Jan, Lalla Sara wollte nicht, dass wir es dir und Nina sagen. Und es spielte in unseren Augen auch nicht wirklich eine Rolle. Es ist nun so, dass Elias und Mounia … nun ja … es sind Vampire.“

Jan lachte los. „Klar und ich bin Frankenstein!“

Mounia zischte ihn an. „So wie du meinen Bruder behandelt hast, kommst du einem Monster jedenfalls näher als wir! Du hast ihn behandelt wie deinen persönlichen Fußabtreter, er bemühte sich ständig, dir zu zeigen, dass er dich mag und bekam von dir nur blöder Kameltreiber oder Schafficker zu hören.“ Sie steigerte sich immer mehr in ihre Wut. „Ständig hast du ihm signalisiert, das letzte zu sein. Und dann die große Versöhnung, Liebesgestöhne, Elias im siebten Himmel und heute Abend geht die Treterei wieder los! Was bist du nur für ein riesiges Arschloch!“ Mittlerweile kämpfte sie auch mit den Tränen.

Monika und Oleg blickten Jan an. „Clemens hat recht.“

Jan fiel der Unterkiefer runter und Oleg fing an, Jan die ganze Geschichte zu erzählen. So wie Lalla Sara sie über die Vampire des Buchari-Clans aufgeklärt hatte, den Aufenthalt seines Großvaters bei ihm während des zweiten Weltkrieges, die Bemühungen seiner Dienststelle, die ihn abgeordnet hatte, den beiden Buchari-Zwillingen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen und helfend zur Seite zu stehen. Bis hin zu den Diplomatenpässen, die den Zwillingen zur Verfügung standen. Und er schloss damit, dass er ihn aufklärte über das Unglück, das den Bucharis mit dem Flugzeugabschuss widerfahren war und dass zwei Generationen Bucharis ausgelöscht hatte, so dass Elias und Mounia jetzt die aktuellen Erben des Clans waren.

Monika sprach jetzt zu Jan. „Wir hatten gehofft, dass ihr euch gut verstehen würdet angesichts der Gemeinsamkeiten, beide Geschwisterpaare elternlos und ungefähr im selben Alter. Bei Nina und Mounia hat das auch gut geklappt, Nina weiß auch nicht, dass Elias Schwester ein Vampir ist. Aber du und Elias, zwischen euch herrschte ein Klima, dagegen war der Kalte Krieg wie eine gemütliche Butterfahrt. Als ihr dann zueinander fandet, waren wir alle heilfroh. Und am frühen Abend, als ihr im Kino wart, haben wir glücklich mit Oleg und Hubert telefoniert.“

Sie machte eine Pause. „Jan, es ist jetzt nicht wirklich deine Schuld. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du es so gemeint hast. Aber versetz dich in Elias Lage. Erst verbringt ihr die Nacht miteinander, nachdem ihr euch monatelang gestritten und bestenfalls ignoriert habt. Er glaubte, dass du ihn liebst. Was du ja auch tust wie ich annehme. Aber dann lässt du ihn wissen, dass du Vampire am liebsten ausrotten lassen würdest. Was soll er denn denken?“

Jan blickte in die Runde und war völlig fassungslos. „Das ist doch Quatsch! Es gibt doch keine Vampire.“

Mounia reichte es. Sie bewegte sich wie ein Blitz auf Jan zu, sprang ihn an, packte ihn am Kragen, knallte ihn an die Wand, warf ihn auf den Boden, bleckte die Zähne und drohte, ihn zu beißen. „Ach? Es gibt uns nicht? Und was bin ich dann? Hör zu, wenn mein Bruder stirbt, dann Gnade dir Gott!“

Ninas Bruder schaute sie entsetzt an. Er blickte in ihre plötzlich nicht mehr dunklen, sondern grün leuchtenden Augen und sah die spitzen Eckzähne, die sich verlängert hatten. Die kleine Mounia, die ihm gerade bis zur Brust ging, sah gar nicht mehr so klein und harmlos aus.

Oleg stand auf, beugte sich zu Elias Schwester runter und zog sie hoch. „Komm Kleines, dein Bruder ist in guten Händen. Hubert tut was er kann. Und es ist wohl eher ein Missverständnis und keine Absicht von Jan gewesen.“

Jan brüllte los. „Verdammt nochmal, warum hat uns das denn keiner gesagt? Ist das denn zu viel verlangt? Da lebe ich Zimmer an Zimmer mit einem Vampir, weiß noch nicht einmal, dass es Vampire gibt, streite mich mit ihm und merke irgendwann, dass…

Hinterlasse einen Kommentar